Interview: Elektrotechnische Ausbildungsberufe im Fokus : Datum:

Das Projekt TechKom entwickelt digitale Instrumente, um die Problemlösekompetenz von Auszubildenden zu fördern, und überarbeitet Prüfungsaufgaben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Angeboten für die elektrotechnische Ausbildungs- und Prüfungspraxis. Prof. Felix Walker erklärt die Hintergründe.

Portrait Professor Felix Walker
Felix Walker ist Professor für Berufspädagogik an der Universität Hamburg © privat

Ascot-vet.net: Bitte beschreiben Sie Ihr Projekt in wenigen Sätzen

Felix Walker: Das Projekt TechKom umfasst drei Teilprojekte. In den ersten beiden Teilprojekten geht es darum, die berufsfachlichen Kompetenzen von Auszubildenden in elektrotechnischen Berufen zu erfassen und zu fördern. Dazu bearbeiten Auszubildende in authentischen und komplexen digitalen Lernumgebungen selbstständig Probleme, wie etwa die Fehlersuche an Automatisierungssystemen oder die Programmierung einer Steuerung.

Das dritte Teilprojekt geht der Frage nach, was Prüfungsaufgaben leichter oder schwerer macht. Als Basis hierfür werden in elektro- und metalltechnischen Berufen Aufgaben der Abschlussprüfungen der letzten zehn Jahre analysiert, überarbeitet und erneut im Rahmen des Teilprojektes eingesetzt.

Ascot-vet.net: Zu welchem Problem der Berufsbildungspraxis wollen Sie einen Lösungsansatz liefern?

Felix Walker: Prüfungsaufgaben sollen komplex sowie handlungsorientiert ausgerichtet sein. Zugleich sollen sie unterschiedliche Niveaus der berufsfachlichen Kompetenz abbilden. Um diese Anforderungen einzulösen, übernehmen haupt- und ehrenamtliche Prüfungserstellende die Entwicklung der Aufgaben. Hierfür stehen ihnen zum Teil Handlungsleitfäden sowie Qualitätssicherungskonzepte zur Verfügung. Empirisch abgesichertes Wissen darüber, was Aufgaben schwer oder leicht macht, liegt für die genannten Berufe aber gegenwärtig nicht vor. An dieser Stelle setzt das dritte Teilprojekt von TechKom an.

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Mit Hilfe unserer digitalen Lerneinheiten und -umgebungen können Auszubildende ohne großen Aufwand die Programmierung von Automatisierungssystemen und die Fehlersuche üben.

Felix Walker

In den ersten beiden Teilprojekten geht es dagegen um das Ziel der Berufsausbildung, Handlungskompetenzen aufzubauen. In der Ausbildungspraxis ist es mit großem Aufwand verbunden, Auszubildende die Programmierung von Automatisierungssystemen und die Fehlersuche daran üben zu lassen. Es müssen Laborräume mit entsprechenden Automatisierungssystemen, Arbeitsplätzen, Rechnern und passender Software vorhanden sein. TechKom begegnet dieser Herausforderung zum einen auf technologischer Ebene, in dem es digitale Lerneinheiten und -umgebungen kostenlos bereitstellt. Auf berufspädagogischer Ebene stellt es die Lernwirksamkeit sicher, indem empirisch abgesicherte Erkenntnisse hierzu einfließen.

Ascot-vet.net: Wie gehen Sie dabei vor?

Felix Walker: Um die berufsfachlichen Kompetenzen der Auszubildenden zu fördern, nutzen wir die Erkenntnisse und Instrumente, die wir in der Vorgängerinitiative ASCOT entwickelt haben: so etwa zur Fehlersuche in Automatisierungssystemen, die auf die Kompetenz abzielt, Probleme analytisch zu lösen. Bei der Programmierung von Steuerungen ist dagegen die konstruktive Problemlösekompetenz der Azubis gefragt. Zur Förderung der analytischen Problemlösekompetenz kommt eine browserbasierte Computersimulation zum Einsatz, die ein industrienahes Automatisierungssystem abbildet. Während der Fehlersuche in der Simulation werden die Auszubildenden durch ein adaptives Feedback unterstützt, das in die Software integriert ist. Nach Abschluss der Fehlersuche können sie in einem Video beobachten, wie ein erfahrener Instandhalter bei der Fehlersuche vorgeht. Mit diesen beiden Unterstützungsangeboten, Feedback und Video, wird den Auszubildenden eine Strategie für die Fehlersuche angeboten.

Um die konstruktive Problemlösefähigkeit zu fördern, haben wir digitale Lernumgebungen und Lerneinheiten entwickelt, die ebenfalls browserbasiert sind. Diese vermitteln den Auszubildenden durch unterschiedlich gestaltete Lösungsbeispiele eine Strategie zur Programmierung von Steuerungen. Die Trainings zur analytischen und konstruktiven Problemlösekompetenz werden am Ende des zweiten bzw. Anfang des dritten Ausbildungsjahres eingesetzt. Die Wirksamkeit der Trainings wird anschließend empirisch überprüft.

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In einem Teilprojekt analysieren wir die geschlossenen Prüfungsaufgaben der letzten Abschlussprüfungen insbesondere auf sprachliche Merkmale, die die Schwierigkeit einer Aufgabe beeinflussen.

Felix Walker

Für das dritte Teilprojekt analysieren wir im Projekt die geschlossenen Prüfungsaufgaben der Abschlussprüfung der letzten Jahre in den genannten Berufen, und zwar insbesondere auf sprachliche Merkmale, die die Schwierigkeit einer Aufgabe beeinflussen. Für jede Aufgabe wurden zum Beispiel die Anzahl der Fachbegriffe erfasst oder ob zur Lösung der Aufgabe ein Tabellenbuch oder weitere Dokumente benötigt werden. Zu diesen Aufgaben wurden Aufgabenzwillinge entwickelt, in denen einige der analysierten Merkmale nicht mehr vorkommen. Diese Aufgabenzwillinge werden den Auszubildenden als Prüfungsvorbereitung, also zeitnah zu der Abschlussprüfung, in digitaler Form angeboten. Dadurch können wir anschließend feststellen, welchen Einfluss diese Merkmale auf die Schwierigkeit einer Aufgabe besitzen.

Ascot-vet.net: Welchen Vorteil bietet Ihr Vorhaben für die Praxis?

Felix Walker: Aus dem dritten Teilprojekt erwarten wir, konkrete Aussagen darüber ableiten zu können, was eine Aufgabe schwer oder leicht macht. Diese Erkenntnisse werden direkt in Handlungsempfehlungen für die Prüfungsaufgabenerstellung einfließen, etwa in das Qualitätshandbuch für Prüfungsaufgabenerstellende der PAL oder des Handwerks. Damit werden erstmals empirisch begründete Empfehlungen für die Prüfungsaufgabengestaltung bereitgestellt.

Aus den beiden anderen Teilprojekten gewinnen wir in mehrerer Hinsicht interessante Erkenntnisse. Aus technologischer Sicht stehen erstmals digitale Lernumgebungen für das konstruktive und analytische Problemlösen zur Verfügung. Darüber hinaus wird ein Learning-Management-System (LMS) bereitgestellt, das auf der Lernplattform Moodle basiert, und speziell auf handlungsorientierten selbstgesteuerten Unterricht ausgerichtet ist. Aus der Perspektive der Berufspädagogik und Fachdidaktik sind dies nicht nur digitale Lernumgebungen und Lerneinheiten, sondern wir stellen damit auch die auf Lehr-Lerntheorien basierenden fachdidaktischen Konzepte zur Verfügung, deren Wirksamkeit in den Teilprojekten geprüft wurde.

Ascot-vet.net: Wie stellen Sie sich den konkreten Einsatz in der Ausbildungspraxis vor?

Felix Walker: Die Lernumgebungen und -einheiten sowie die fachdidaktischen Konzepte können Anwender und Anwenderinnen in eigene Learning-Management-Systeme oder Präsentationen integrieren. Sie können im Internetbrowser geöffnet werden. Die Trainings zur analytischen und konstruktiven Problemlösekompetenz wurden in Abstimmung mit Expertenteams aus der Ausbildungspraxis sowie curricularen Analysen entwickelt. Sie können demnach in den entsprechenden Lernfeldern eingesetzt werden.

Die Erkenntnisse zu Merkmalen, welche die Schwierigkeit einer Prüfungsaufgabe beeinflussen, werden in Form von Handlungsempfehlungen zur Aufgabengestaltung in das Qualitätshandbuch der PAL einfließen. Außerdem stellen wir diese Handlungsempfehlungen der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung.

Ascot-vet.net: Wie sind die Rückmeldungen aus der Praxis bislang?

Felix Walker: Die Resonanz aus der Praxis ist bislang sehr positiv. Nicht nur die Pandemie hat das Interesse an unseren Prüfungsaufgaben, die wir ja digital anbieten, vergrößert. Uns haben auch Anfragen erreicht, die auf die Handlungsempfehlungen zur Aufgabengestaltung abzielen, also Informationen darüber, welche Merkmale die Schwierigkeit einer Aufgabe beeinflussen und wie ich das selbst für die Gestaltung eigener Aufgaben nutzen kann. Das zeigt uns, dass unsere Arbeit ankommt.

Für die Lernumgebungen und -einheiten sowie die fachdidaktischen Konzepte aus den ersten beiden Teilprojekten liegen ebenfalls sehr positive Rückmeldungen vor, was uns sehr freut. Bereits nach dem ersten Einsatz fragten Interessierte an, wann die Lernumgebungen und -einheiten sowie das LMS zur Verfügung stehen würden. Einige berufsbildende Schulen nutzen gegenwärtig bereits die Lernumgebungen und -einheiten. 

Ascot-vet.net: Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte an Ihr Projekt – für andere Berufe, für zusätzliche Einsatzmöglichkeiten, für weitere Forschung?

Felix Walker: Die berufspädagogischen und fachdidaktischen Konzepte können unmittelbar auf alle technischen Berufe angewendet werden. Direkte Anknüpfungsmöglichkeiten bieten die Entwicklung und Evaluation von Fortbildungen des Ausbildungspersonals. Dadurch, dass die in TechKom entwickelten Lernumgebungen und -einheiten digital verfügbar sind, ist es möglich, auch die Bearbeitungsprozesse und insbesondere die auftretenden Barrieren abzubilden. Wenn wir diese Prozesse etwa bei der Fehlersuche an einem Automatisierungssystem untersuchen, können wir die tatsächlichen Strategien analysieren. Perspektivisch könnte eine künstliche Intelligenz direkt Feedback zum tatsächlichen Verhalten geben, während die Auszubildenden den Fehler suchen.

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Perspektivisch könnte eine künstliche Intelligenz in unseren Lerneinheiten direkt Feedback zum tatsächlichen Verhalten geben, während die Auszubildenden zum Beispiel den Fehler in einer Automatisierungsanlage suchen.

Felix Walker

Die Merkmale, welche im dritten Teilprojekt untersucht wurden, und deren Einfluss auf die Aufgabenschwierigkeit stammen aus der psychologischen bzw. fachdidaktischen Forschung.  Damit besitzen sie großes Potenzial, auf andere, vor allem technische, Berufe übertragen zu werden. Die in diesem Teilprojekt gewonnenen Erkenntnisse können etwa in Form von Trainings zur Weiterbildung von Ausbildungspersonal und Prüfungsaufgabenerstellenden vermittelt werden.